INTERVIEW: Mein Karriereweg von Oxford über Goldman Sachs zu einem linken Think-Tank
Lydia Prieg hat Physik in Oxford studiert und anschließend als Fixed Income-Traderin bei Goldman Sachs gearbeitet.
1. Was hat Sie dazu gebracht, nach der Uni ins Banking zu gehen?
Ich bin immer eine energische und ehrgeizige Person gewesen, weshalb mich der Handelssaal natürlich reizte. Darüber hinaus habe ich immer Mathe geliebt - ich habe einen Bachelor in Physik. Ich hatte Lust, in meiner Karriere etwas mit Mathe zu machen. Dies war auch der Grund, weshalb ich in Fixed Income und nicht in Equities gegangen bin, da ich das erste für technischer hielt. Schließlich bewarb sich die Mehrheit der Studenten meiner Uni (Oxford) für Praktika in Unternehmen und für Berufseinstiegsprogramme. Die Career Service-Einrichtung ist sehr hilfreich, wenn man dort nach speziellen Informationen fragt. Dennoch unternimmt die Einrichtung m.E. zu wenig, um die Studenten auf "hochfliegende" Karrierewege abseits von Banking, Wirtschaftsprüfung, Law Firms und Managementberatungen hinzuweisen, die unzählige Veranstaltungen für Oxforder Studenten durchführen.
2. Fanden Sie es leicht, einen Job bei Goldman Sachs zu erhalten?
Im meinem vorletzten Unijahr habe ich mich für ein zehnwöchiges Sommerpraktikum beworben. Um das Praktikum zu erhalten, musste ich in der ersten Runde Mathe- und Logiktests absolvieren und ich hatte vier Vorstellungsgespräche - eines in der ersten und drei in der zweiten Runde.
Um mich auf die Vorstellungsgespräche vorzubereiten, las ich eine Woche vor jeder Runde die Financial Times sowie Einführungen in Sales und Trading, um eine vage Vorstellung von dem Job zu bekommen. Ich las auch einige Einführungen, die mir einen Überblick über die verschiedenen Produkte wie Optionen, Futures, Swaps usf. und wie sie funktionieren vermittelten. Obgleich ich mich nicht für diese Bereiche beworben hatte, las ich auch Einführungen ins Investmentbanking und Investmentmanagement, weil es für ein Vorstellungsgespräch wichtig ist, zu wissen, was die anderen Bereiche einer Investmentbank so machen. Schließlich habe ich am Morgen jeder Runde einige Schlüsseldaten wie Indexkurse, Wechselkurse, Leitzinssätze, den Ölpreis, den Goldman Sachs-Kurs usf. auswendig gelernt. Ich habe mich natürlich auch auf die üblichen Fragen nach den Kompetenzen vorbereitet, wie z.B.: Geben Sie ein Beispiel für Ihre Führungsqualitäten.
Falls Sie sich auf diese Weise vorbereiten, dann sollten Sie das Vorstellungsgespräch bewältigen. Ich hatte nur ein einziges "schlechtes" Vorstellungsgespräch, in dem sich einer von zwei Gesprächspartnern extrem unfreundlich und aggressiv gab. Doch nachdem ich auch mit anderen Bewerbern gesprochen hatte, stellte ich fest, dass er sich so allen Bewerbern gegenüber benommen hatte. Daraus schloss ich, dass er einfach nur testen wollte, wie wir unter Druck reagieren.
Auch das Praktikum selbst war so etwas wie ein zehnwöchiges Vorstellungsgespräch. Wir verbrachten einige Wochen damit, Fortbildungen zu besuchen und durch die verschiedenen Teile zu rotieren, um einen Eindruck von der Arbeit zu bekommen. Anschließend entscheiden Sie sich für einige Bereiche, mit denen Sie sich intensiver beschäftigen. Dort verbringen Sie mehr Zeit, um längere Projekte abzuarbeiten und alle Kollegen kennenzulernen. Und es gab natürlich auch eine Reihe von Networkingevents.
Ich verbrachte die meiste Zeit mit Zinsprodukten und am Ende des Programms wurde mir dort ein Job angeboten. Dabei erhielten rund 65 Prozent meiner Mitpraktikanten ein Angebot. Wenn Sie sich also ein Praktikum sichern konnten, dann standen die Chancen sehr gut, dass Sie am Ende einen Job erhielten. Mein Rat besteht darin: Arbeiten Sie heraus, welches Ihre Kompetenzen sind und suchen Sie nach den Bereichen, wo diese gesucht werden. Wenn Sie z.B. in Mathe besser als im Networking sind, dann ist es wahrscheinlich klug, sich auf technische Jobs zu konzentrieren. Ebenso ist es wichtig, sich eine dicke Haut zuzulegen und keine Kritik persönlich zu nehmen. Denn jeder wird einmal negatives Feedback erhalten und Trader sind es nicht gewohnt, dies zuckersüß zu verpacken. Davon sollten Sie sich nicht in Ihrem Selbstbewusstsein getroffen fühlen. Falls Sie derartige Kommentare stören, dann sind Sie womöglich nicht für den Handelssaal geeignet und sollten darüber nachdenken, ob Sie tatsächlich in einer solchen Umgebung arbeiten wollen.
3. Wann haben Sie während Ihrer Karriere bei Goldman Sachs festgestellt, dass das nichts für Sie ist?
Die Lernkurve ist Anfangs sehr steil, weshalb ich den Job stimulierend fand. Doch nachdem ich einmal wusste, was ich machte, habe ich festgestellt, dass sich viele Arbeitsabläufe im Handelssaal wiederholen.
Noch wichtiger war indes, dass ich feststellte, dass ich einfach nicht genug Interesse für die Finanzmärkte aufbringe. Wenn der Bund 5 Basispunkte zulegte, habe ich mich darum gekümmert, weil das mein Job erforderte, doch nicht weil ich mich wirklich dafür interessierte. Einige Teile meines Jobs habe ich genossen wie etwa das Modellieren, die Preisfindung usf., doch dies resultierte aus meinem Faible fürs Problemlösen und nicht aus der Sache selbst. Allerdings habe ich damit auch nicht den Hauptteil meiner Arbeit verbracht.
Nach einem Jahr wuchs die Frustration über meine Karrierewahl. Dennoch wollte ich dem Job eine angemessene Chance geben und so habe ich mit der Kündigung gewartet, bis ich bei Goldman Sachs 20 Monate gearbeitet hatte, während ich mich gleichzeitig für einen Master bei der London School of Economics (LSE) bewarb. Allerdings hat sich während dieser Zeit meine Einstellung nicht gewandelt, und ich rang mich dazu durch, hohe Gehaltseinbußen zu akzeptieren, wenn ich dafür einen Job ausüben konnte, der mir wirklich gefällt. Ich wollte einfach mehr, als bloß einen Job haben.
4. An welchen Punkt erkannten Sie, dass Sie etwas anderes machen wollen?
Als Teenager oder an der Uni habe ich mich nie wirklich für Politik interessiert. Doch als ich im Marktgeschehen arbeitete, wuchs mein Interesse für das politische Geschehen. Obgleich ich nur zögernd etwas über Credit Default Swaps las, verschlang ich politische Nachrichten.
Ich bewegte mich mehr und mehr nach links und wollte politisch aktiv werden. Darüber hinaus hat eine Reihe meiner Freunde in politischen oder sozialen Einrichtungen gearbeitet. Als ich ihnen zuhörte, wie sie über ihre Jobs sprachen, wurde ich zunehmend neidisch auf sie. Mit der Zeit wurde es immer klarer, dass ich lieber eine solche Karriere anstreben wollte, als weiter an den Finanzmärkten zu arbeiten. Daher kündigte ich bei Goldman Sachs und nahm ein Masterstudium der Politologie an der LSE mit der Absicht auf, letztlich für eine soziale Einrichtung oder einen Think-Tank zu arbeiten.
5. Beim Wechsel von Physik zur Politologie handelt es sich schon um einen großen Schritt. Ist Ihnen das leicht gefallen?
Ich habe mich entschlossen, an die Uni zurückzukehren und mich nicht direkt für andere Jobs zu bewerben, weil ich das Gefühl hatte, dass ich ein Jahr Auszeit gebrauchen könne. Die Arbeit bei Goldman Sachs war sehr lang und ich fand nicht die Zeit, mich auf Vorstellungsgespräche im politischen Bereich vorzubereiten.
Da ich bereits eine unpassende Karriere gewählt hatte, wollte ich einen weiteren Fehler vermeiden. Ich wollte mir die Zeit nehmen, um alle Optionen sorgfältig abzuwägen. Letztlich fühlte ich mich auch noch nicht für eine Karriere in der Politik bereit. Ich wollte zunächst dieses Fach studieren, darüber in aller Tiefe nachdenken und mich auf neue Ideen einlassen. Alle diese Überlegungen brachten mich dazu, einen Master aufzunehmen.
In Anbetracht der Tatsache, wie schwierig ein solcher Wechsel ist, stellte ich fest, dass ein starker mathematischer Hintergrund einen Vorteil darstellt, da politische Wissenschaften und politische Ökonomie u.a. auf Wirtschaftswissenschaften basieren.
Allerdings sorgte ich mich um meine Schreibfertigkeiten, da meine Mitstudenten sämtlich aus den Sozial- oder Geisteswissenschaften kamen. Außerdem bestanden meine Prüfungsfächer beim Abitur neben Mathematik, in Physik und Chemie, daher hatte ich keine Aufsätze mehr geschrieben, seit ich 16 Jahre alt war.
Glücklicherweise stellt sich dies als eine unnötige Sorge heraus. Nachdem ich einige Aufsätze übungshalber geschrieben hatte, holte ich schnell auf. Da ich auch nicht mehr im Banking arbeitete, hatte ich deutlich mehr Zeit zur Verfügung. So habe ich ein, zwei Tage in der Woche als Praktikantin bei einem Labour-Abgeordneten verbracht, schließlich wollte ich ja eine Karriere bei einem politischen Think-Tank oder einer sozialen Einrichtung aufnehmen. Ich denke, dass es wichtig ist zu wissen, wie die Parlamentsarbeit konkret funktioniert.
6. Bedauern Sie es manchmal, aus dem Banking ausgestiegen zu sein?
Nein, aus dem Banking auszusteigen, zählt zweifellos zu den besten Entscheidungen meines Lebens. Ich finde es vollkommen OK, dass die Leute gern in der Branche arbeiten, und ich sage auch nicht, dass eine Kündigung für jeden das Richtige ist. Doch für mich selbst stellte Banking nicht die richtige Wahl dar.
Während meiner Zeit bei Goldman Sachs und danach habe ich mich mehr und mehr politische engagiert und bin deutlich nach Links gerückt. Ich denke nicht, dass die Unterschiede zwischen den Boni, die Banker genießen, und den Gehältern in anderen Branchen durch unterschiedlichen Fähigkeiten und höhere Anstrengungen gerechtfertigt sind. Ich denke sogar, dass so große Ungleichheiten weder fair noch hilfreich sind. Mit solchen Überzeugungen wäre es sicherlich falsch, ins Banking zurückzukehren.
7. Was ist das beste an Ihrem derzeitigen Job?
Zurzeit arbeite ich für einen linken Think-Tank in London und ich untersuche die Zusammenhänge zwischen Kapitalmärkten, der internationalen Entwicklung und ökologischer Nachhaltigkeit.
Ich mag meinen Job, da ich damit dazu beitrage, eine wichtige Sache voranzubringen. Überdies bin ich wirklich an meiner derzeitigen Tätigkeit interessiert, was schon einen wichtigen Unterschied darstellt. Letztlich habe ich auch ständig mit neuen Dingen zu tun, wozu auch das Lesen und Verfassen von Forschungsbeiträgen, die Zusammenarbeit mit gemeinnützigen Einrichtungen, Vorträge, die Teilnahme an Diskussionsrunden, Medienarbeit und Lobbyarbeit zählen. Jeder Tag ist anders und bringt immer neue Herausforderungen mit sich.
8. Welchen Rat würden Sie anderen Nachwuchskräften bei Investmentbanken mitgeben, die sich nicht sicher sind, ob Sie die richtige Berufswahl getroffen haben?
Am wichtigsten ist, dass sich die Leute von ihren Karrierewünschen nicht abbringen lassen, weil es dort keine Graduiertenprogramme oder andere erprobte Einstiegswege gibt. Dies mag auf manche Leute abschreckend wirken, dennoch sollte man hart und unnachlässig arbeiten, die Belohnung wird sich dann schon einstellen.
Wer im Banking unglücklich ist und nicht weiß, was er sonst machen soll, dem empfehle ich, an die Uni für ein oder zwei Jahre zurückzukehren. Damit haben Sie die Möglichkeit, Ihre wirklichen Interessen herauszufinden und nicht gleich einen Karrierewechsel in Angriff zu nehmen.
Schließlich denke ich, dass der Gehaltsscheck nur ein schlechter Maßstab für den Erfolg ist, den jemand in seinem Leben erreicht. Viele Leute lieben ihre Jobs und verdienen eine Menge Geld. Doch ich werde niemals verstehen, wieso jemand etwas weiterhin macht, obgleich er damit unglücklich ist, nur um unnötig viel Geld zu verdienen oder weil er einen Misserfolg darin sieht, wenn er nicht viel Geld verdient.
Ich störe mich an der Tatsache, dass viele Leute ihre 20er und 30er - die eigentlich die besten Jahre des Lebens sein sollten - auf eine sinnlose Suche verschwenden. Ich weiß, dass es ein großes Privileg darstellt, seinen Job zu lieben. Doch ein Großteil der Banker ist in der glücklichen Situation, an den besten Unis studiert zu haben, über Kompetenzen und Selbstbewusstsein zu verfügen, womit Ihnen alle Wege offenstehen. Es handelt sich definitiv um eine große Schande, dass so viele talentierte Leute in einer Welt gefangen sind, in der sie unglücklich sind.