„Senior Banker beginnen London zu verlassen“
Bei den Londoner Banken findet ein Exodus statt. Doch nur wenige Leute in der Branche sprechen offen darüber, da der Brexit bei Banken ein ganz heißes Thema ist. Trotz alledem gehen die Leute in großer Zahl und es dürfte noch schlimmer werden.
Auch ich gehöre zu ihnen. Mehr als zehn Jahre habe ich in London verbracht; ich war als Managing Director bei einer europäischen Großbank tätig, aber in diesem Herbst werde ich in mein Heimatland zurückkehren. Damit bin ich nicht allein. Ich kenne viele Leute auf meinem Karrierelevel, die sich zu einem Umzug nach Kontinentaleuropa durchgerungen haben. Mehr Leute als je in meiner Karriere verlassen London – weitaus mehr als während der Finanzkrise der Jahre 2009/10 zum Beispiel…
Das Verschwinden einer ganzen Mitarbeiterschicht wird in den Banken selbst kaum diskutiert. Der Exodus ist politisch einfach zu brisant. Denn Senior Banker verhalten sich beim Brexit ebenso leidenschaftlich, laut und meinungsfreudig wie der Rest der Bevölkerung. Da erscheint es ratsamer, die Leute stillschweigend nach Kontinentaleuropa ziehen zu lassen. Niemand sollte aber glauben, dies geschehe nicht.
Mir selbst erschien ein frühzeitiger Abgang am besten, denn ich weiß, was jetzt geschehen wird: Schließlich war ich selbst an den internen Strategiegesprächen der Bank beteiligt. Als Teil des Sales-Teams war mir bekannt, dass wir bald nach unserer Umzugsbereitschaft gefragt werden. Die Bank kann es sich einfach nicht leisten, nach einem Brexit ihre Lizenzen zu verlieren und ihre Kunden in Europa im Stich zu lassen. Der Druck zu einem Wechsel wird steigen. Ich habe mich zu springen entschieden, bevor der Druck bei mir ankommt.
Für meine Kollegen und mich stellt der Brexit nur das Ende eines schwierigen Jahrzehnts dar. Zunächst hatten wir mit der Finanzkrise zu kämpfen, dann mit heftigen Kostensenkungsprogrammen. In den vergangenen drei Jahren wurde mein Team immer wieder verkleinert. Der Brexit kommt da gerade als Ausrede für noch tiefere Einschnitte recht. Schauen Sie sich einfach in den Londoner Handelssälen um, die Lücken werden immer offensichtlicher und der Exodus nach Paris, Frankfurt, Zürich und Mailand hat begonnen. Er wird sich noch beschleunigen.
Viele von uns haben profunde finanzielle Gründe, um nachhause zu gehen. Die europäischen Länder haben mit großzügigen Steuergeschenken den Wettbewerb um die Talente begonnen. Wenn ich nach Mailand gehe, kann ich eine Flatrate von 100.000 Euro nutzen, anstatt mein gesamtes ausländisches Einkommen zu versteuern. Auch wenn ich mich für Paris entscheide, erhalte ich als Ausländer Vergünstigungen. Unterdessen ist London richtig teuer geworden.
Natürlich kann sich dies ändern. Doch derzeit stellt London nicht den Ort mit den besten Chancen dar: Die Banken investieren weniger in die britische Hauptstadt. Mithin gibt es hier weniger gute Jobchancen als in der Vergangenheit, was den Betroffenen nicht entgangen ist. Die Leute, die in den Finanzdienstleistungen arbeiten, reagieren flexibel. Wenn sich die besten Jobs in Asien finden, dann gehen sie eben nach Asien. Doch derzeit finden sich die besten Gelegenheiten in Paris, Frankfurt oder Mailand. Viele dieser Märkte sind vor allem auf der Buy-Side unterentwickelt. Senior Banker haben bereits Möglichkeiten aufgespürt, sich frühzeitig richtig zu platzieren und setzen dies jetzt – wie ich auch – um.
Bei Henri Ouvrard handelt es sich um das Pseudonym eines Managing Directors, der kürzlich eine europäische Investmentbank in London verlassen hat.