GASTBEITRAG: Ich habe Lehman durchgemacht. Was Bankenjobs bei einem harten Brexit droht
Als Lehman Brothers pleiteging, war ich Analyst bei Goldman Sachs in London. Daher weiß ich, wie es zugeht, wenn bei Großbanken das Kostendrücken Saison hat.
Das klingt finster und das ist es auch. So wurden bei Goldman Sachs sämtliche Analysten in meiner Abteilung, mehr als 50, in einen Raum gerufen. Eine Personalerin leitete das „Meeting“. Wenn ein Meeting von einem HR-Mitarbeiter geleitet wird, dann ist das meist kein gutes Zeichen.
Als ob niemand wüsste, dass etwa Schreckliches passieren würde, hat sie erst einmal von der grauenvollen Nachricht gesprochen, die die Märkte erschütterte. Anschließend erklärte sie, dass Goldman Sachs Kosten sparen müsse und das schwierige Zeiten anständen.
Die Ironie blieb uns nicht verborgen. Wieso sollten die Einsparungen die billigsten und wohl produktivsten Teammitglieder als erste treffen? Ganz einfach: Wenn ein Flug an Geschwindigkeit verliert und abzustürzen droht, dann wird sämtliches überflüssige Gewicht über Bord geworfen – gleich, wie leicht es auch ist.
Am Ende wussten wir alle, dass wir jetzt alle an einem nicht sonderlich lustigen Überlebenskampf teilnehmen würden, indem nur die Hälfte von uns die nächste Woche erreichen würden.
Da wir uns jetzt einer Katastrophe nähern, die der Brexit auslöst, müssen Sie wissen, wenn die Dinge im Banking gefährlich werden. Alle die schönen Sprüche über Moral sind dann rasch vergessen. Darum geht es einfach nicht mehr. Vielmehr geht es darum sicherzustellen, dass die deprimiertesten und erschöpftesten Kollegen schnellstmöglich die Gelegenheit zu einem Abgang ergreifen. Die Banken wollen, dass Sie gehen und nicht nur Goldman Sachs.
Dafür gibt es einen Grund: In einer Krisensituation stellt es oft Zeitverschwendung dar, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wer geht und wer nicht. Ich habe schon verschiedene Situationen miterlebt, in der zwei Personen für eine Position oder Beförderung in Frage kamen und in denen das Management eine auswählte und die andere gehen ließ. Nur kurz darauf geht der Auserwählte ebenfalls und hinterlässt ein ratloses Management. Ich bin sogar Zeuge gewesen, als das Management einen Vice President vor die Tür gesetzt hat und ihn zwei Wochen später bat wieder anzufangen, was der natürlich ablehnte. Daher ist es meist einfacher einfach mal den Baum zu schütteln und zu sehen, was freiwillig herunterfällt.
Ich persönlich habe die Krise überstanden und mittlerweile eine mehr als zehnjährige Karriere im Banking hinter mir. Bei Goldman Sachs gehörte ich zu den wenigen Glücklichen, die die Woche überstanden und daher an einem zweiten ebenso deprimierenden Meeting mit der Personalerin teilnehmen musste.
Dieses zweite Meeting sollte unsere Motivation anstacheln, erreichte aber das genaue Gegenteil. Die Dame gratulierte uns zunächst: Wir seien die Auserwählten. Sofort danach schwärmte sie von zwei Analysten, die ihre Front Office-Stelle für „interessante und einzigartige“ Chancen innerhalb des Unternehmens eingetauscht hätten. Einer war der neue Persönliche Assistent der Global Head of Business. Die Personalerin erzählte, wie glücklich er sei, so früh in seiner Karriere mit einer derart hohen Führungskraft zusammenzuarbeiten dürfen. Ich denke, Spesenabrechnungen, Buchen von Geschäftsreisen und den Telefonhörer abzuheben, war jeden Cent seines teuren Studiums an einer Top-Business-School wert. Doch ich konnte ihn nur mit einer Mischung aus Verzweiflung und Traurigkeit anstarren. Der andere arbeitete fortan im Back Office und nahm auch nicht an dem Meeting teil. Das war wohl auch besser für ihn.
Wenn Sie also heute Analyst bei einer der erstrangingen Investmentbanken sind, dann sollten Sie sich selbst fragen, ob Sie wirklich bei dem Unternehmen bleiben wollen und wie gut Sie beim Buchen von Reisen sind… Bis zum 29. März ist es nicht mehr lange hin.
Bei Amit Imelton handelt es sich um das Pseudonym eines nachdenklichen Senior Bankers.