Wie mein Finance-Job meine Psyche ruinierte
Helft mir. Früher konnte ich mich hinsetzen und ein Buch lesen und es handelte sich um kein Bilderbuch. Doch heute kann ich kaum noch eine dreiseitige Studie lesen, ohne mich abwechselnd mit zehn anderen Dingen zu beschäftigen. Dafür mache ich meine Arbeit auf der Buy Side verantwortlich. Das geht nicht nur mir so. Ein Bloomberg-Terminal hat etwas Faszinierendes an sich. Es handelt sich um ein Meer von roten und grünen Lichtern, die unablässig blinken und das Auf und Ab der Börsenkurse widerspiegeln. Manchmal ändern sich die Preise sekündlich, bei besonders liquiden Werten sogar mehrfach in der Sekunde.
In meinem Job sitze und starre ich minuten- und sogar stundenlang auf den Bildschirm. Daher bin ich daran gewohnt, ständig Veränderungen zu sehen. Ich bin verkümmert: Mittlerweile habe ich die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfischs, was mein Leben und meine Arbeitsleistung beeinträchtigt.
Dies tritt vor allem während der Analystencalls zutage. Wie die meisten Leute an der Wall Street hasse ich sie. Ich hasse sie sogar mehr als sie und lege regelmäßig nach 20 Minuten auf. Ich weiß nicht, ob das daran liegt, dass der Finanzchef monoton die Zahlen aus der Presseerklärung herunterbetet und eine Präsentation durchgeht. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass, gleich wie die Zahlen ausfallen, alles laut dem Management rund läuft und sich im Rahmen der Erwartungen entwickelt. Wie sehr ich mich auch bemühe, verliere ich inmitten des Analystencalls das Interesse. So genau ich auch den Vortrag folge, muss ich doch immer zur Transkription zurückkehren, um das Versäumte zu verstehen. Bei den Calls zu den Geschäftszahlen gilt die Regel: Je länger sie ausfallen, desto schlechter sind die Ergebnisse. Wenn ein solcher Call also mehr als eine Stunde dauert, dann wissen Sie, dass die Ergebnisse miserabel ausgefallen sind.
Mittlerweile ist es mir unmöglich, ohne Laptop an einem Meeting teilzunehmen. Wer sich dort noch Notizen auf Papier macht, gilt rasch als Sonderling. Nach drei Monaten sind Sie dann auch nicht mehr in der Lage, Ihre Notizen wiederzufinden. Und wie zum Teufel kann man ohne Computer browsen?
Wenn ich mich heute mit der Geschäftsleitung eines Unternehmens oder mit Aktienanalysten treffe, hüte ich mich davor, neben ihnen zu sitzen. Ähnlich wie bei den Analystencalls verliere ich früher oder später das Interesse an dem Gespräch. Wenn ich an einem Meeting teilnehme, starte ich als erstes meinen Browser, um zu sehen, ob etwas Interessantes in der Welt vor sich geht. Zunächst habe ich mich dabei schlecht gefühlt, bis ich festgestellt habe, dass einige Investor Relations-Mitarbeiter etwas ähnliches machen. Wahrscheinlich geht es sogar Vorstands- und Finanzchefs so, wenn sie nicht gerade langweilige Fragen beantworten.
Im Grunde hat der Job bei mir eine Aufmerksamkeitsstörung ausgelöst, was schon lustig ist. So kurz meine Aufmerksamkeitsspanne auch ist, so habe ich doch keine Probleme mir Game of Thrones hineinzuziehen.
Margin of Saving ist ein Blog, der von einem Hedgefondsanalysten gegründet wurde.
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