„Meine Eltern können kaum glauben, wie viel ich im Investment Banking arbeite“
Ich komme aus keiner Familie von Bankern: Meine Mutter beschäftigt sich mit Wandmalereien und mein Vater ist Fotograf. Ich hatte eine unkonventionelle Jugend, wobei uns die Großeltern mütterlicherseits unterstützt haben. Dennoch habe ich erlebt, wie es ist, ohne eine stabile Einkommensquelle zu leben und ich habe eine deutlich unternehmerische Einstellung als meine Eltern entwickelt. Als die Entscheidung über meine Karriere anstand, habe ich mich daher fürs Investment Banking entschieden.
Dabei half mir, dass einige enge Freunde ebenfalls ins Investment Banking gegangen sind. Einige der Eltern meiner Freunde arbeiteten in der Branche, was unsere Ambitionen bestärkte. Wir sind alle ziemlich ehrgeizig und als einige von uns anfingen, darüber zu sprechen, haben auch die Restlichen von uns diesen Weg eigenschlagen.
Rund ein Dutzend von uns zog es in die Branche. Acht Jahre später haben abgesehen von zweien alle wieder das Investment Banking wieder verlassen.
Ich selbst bin nach sechs Jahren gegangen. Ich hatte in der Investment Banking Division (IBD) einer der größten und besten US-Banken angefangen und wollte eigentlich bleiben. Ich wusste, es würde hart werden, aber nicht wie hart tatsächlich.
Ich gehörte einem Coverage-Team an, das extrem ausgelastet war. Stets musste ich 80 Stunden pro Woche arbeiten, oft sogar 100 Stunden. Dabei lebte ich noch bei meinen Eltern und kam regelmäßig um 4 oder 5 Uhr früh nachhause und bin nach zwei Stunden Schlaf zur Arbeit zurückgekehrt. Manchmal kam ich erst nachhause, als mein Vater schon duschte und sich auf die Arbeit vorbereitete. Oft habe ich auch auf dem Sofa geschlafen, weil es sich kaum gelohnt hätte, ins Bett zu gehen.
Bis zu diesem Punkt hatten meine Eltern meine Karrierewahl unterstützt. Als sie erkannten, was ablief, bedrängten sie mich – besonders meine Mutter. Ich versuchte ihnen zu erklären, dass ich in einer besonders wettbewerbsintensiven Branche arbeite und dass wir den Kunden liefern müssen, aber sie haben nie wirklich begriffen wieso.
Wenn ich heute zurückblicke, kann ich auch nicht begreifen wieso. Es scheint sich um eine Form von kollektivem Wahnsinn zu handeln. Der Wettbewerb unter Banken ist extrem stark und wenn sie erst einmal in der Mühle stecken, sehen Sie, dass andere genauso hart wie Sie arbeiten, um aus der Masse herauszustechen. Es geht darum, an einer Präsentation nach der anderen zu arbeiten, bis man an den Punkt gelangt, dass sie aus der Masse hervorstechen. Wenn ich auf der Unternehmensseite stehen würde und so etwas erhielte, würde ich mich wahrscheinlich gar nicht um all die Details kümmern. Sicher ist es gut, wenn die Präsentation schön formatiert ist und professionell ausschaut, doch wir sind weit darüber hinaus gegangen. Oft haben wir die ganze Nacht am einem Abschnitt gearbeitet, um den Kunden zufriedenzustellen. Anschließend haben wir nie wieder etwas davon gehört.
Schließlich konnte ich nicht mehr so weitermachen. Mein Team war bereits unterbesetzt und die Leute, sind gegangen, weil sie einfach überarbeitet waren. Es war einfach zu viel und mit Hilfe meiner Eltern habe ich die Branche verlassen. Mittlerweile betreibe ich außerhalb der Stadt mein eigenes Geschäft.
Wenn ich auf meine beiden Freunde schaue, die noch im Investment Banking arbeiten, dann werden sie sehr gut bezahlt und genießen das Leben. Vielleicht habe ich auch etwas besonders schlimmes erlebt, mein Team war sicherlich besonders stressig. Doch die meisten meiner Freunde verstehen das Investment Banking wie ich als eine gute Vorbereitung auf eine andere Karriere, für ein paar Jahre, aber nicht mehr. Es gibt so viel mehr im Leben als 100 Stunden zu arbeiten und die Arbeit in der IBD ist dafür einfach nicht erfüllend genug.
Ich denke, dass die Banken ein richtiges Problem haben, denn die jungen Leute haben heute einfach Optionen: Sie müssen nicht in die Finanzdienstleistungen gehen; sie können auch bei einem Start-up oder einer IT-Firma anfangen, wo sie ebenfalls hart arbeiten, aber nicht ganz so hart. Bei Facebook oder Google hat man immer noch ein Privatleben. Wer will schon alle Nächte und Wochenenden im Büro verbringen?
Sicherlich versuchen die Banken, ihre Arbeitszeiten zu begrenzen; einige dieser Maßnahmen habe ich noch miterlebt, bevor ich die Branche verlassen habe. Aber die 80-Stunden-Woche ist in der Branche einfach viel zu tief verwurzelt. Die Führungskräfte haben das alles ebenfalls durchgemacht und sie sind daran gewöhnt, dass die jungen Mitarbeiter rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Dennoch muss es sich etwas ändern. Falls Sie das nicht schaffen, werden sie ernste Personalprobleme bekommen.
Bei Jason Bird handelt es sich um eine Pseudonym.