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„Den meisten Tradern hat die Zeit im Home Office extrem gut gefallen“

Ich arbeite seit über 20 Jahren als Aktienderivatehändler bei einer große Investmentbank. Die letzten zwei Monate waren die beste Zeit meines ganzen bisherigen Berufslebens. Zum ersten Mal überhaupt ging meine Arbeit nicht zulasten meiner Gesundheit und meines Lebenswandels.

Wer als Trader auf der Verkäuferseite arbeitet, hat einen körperlich zehrenden Job. Es wird sehr viel gearbeitet und man muss ständig präsent sein. Die Anzahl an Interaktionen, die man im Lauf eines Tages mit anderen auf dem Handelsparkett hat, kann einen erschlagen. Sich trotz der Geräuschkulisse konzentrieren zu müssen, ist anstrengend. Und der ständige Schlafmangel macht das Ganze nicht einfacher.

Ich wohne in einem Suburb im Westen von London. Von zuhause bis zum Büro bin ich 50 Minuten unterwegs. Ich stehe normalerweise um 5.15 Uhr auf und bin um 7 Uhr im Büro. Die Märkte schließen um 16.30 Uhr, aber ich bin normalerweise bis 19 Uhr, häufig auch bis 19.30 oder 20 Uhr im Büro. Und das fünf Tage pro Woche.

Die Pandemie hat es uns nun ermöglicht, unseren Job einmal anders zu erleben. Wir sind ausgeschlafener, gesünder und entspannter. Wir machen den Computer aus und haben direkt Feierabend. Durch die Zeit im Home Office merken wie, wie viel Zeit wir durch das Pendeln zur Arbeit verlieren. Und wir merken, wie sehr wir Raubbau an unserem Körper betreiben – fast alle, die ich kenne, bekommen nicht genug Schlaf. Vor allem wer im Sales arbeitet, muss häufig zwei, drei Mal pro Woche abends mit Kunden ausgehen – man betrinkt sich und ist erst um Mitternacht im Bett. Und morgens um 5.30 Uhr geht es wieder los. Die Corona-bedingte Pause war bitter nötig.

Und nicht nur das: Das Home Office hat uns ermöglicht, unseren Job besser zu machen. Zwar mögen Kollegen im Sales den Mangel an Interaktion beklagen – ich als Trader hingegen hatte endlich Zeit um Strategien zu überdenken und meine Tools zu aktualisieren. Es wird immer gesagt, dass das Gewusel des Trading Floors dazu gehört, aber ich bin anderer Meinung: Trading Floors sind laut und voller Nebensächlichkeiten, die einen ablenken. Auch wenn man wertvolle Informationen sammeln kann, verplempert man viel Zeit mit unnötigen Tätigkeiten oder nutzlosem Geplänkel. Zuhause ist man fokussierter und arbeitet effizienter.

In meinem Home Office habe ich bewusst keine Squawk-Box installiert – anders als viele meiner Kollegen, und ich denke dass das gut ist. Ich werde nicht mehr mit Broker-Geplänkel überschwemmt, sondern spreche nur noch mit Brokern, wenn ich das wirklich will oder muss – und das ist eher selten der Fall.

Wenn wir weiterhin so arbeiten, wird das die Branche verändern. Ich habe während meiner Laufbahn als Trader erlebt, wie Kollegen auf dem Trading Floor Herzinfarkte hatten. Ich kenne jede Menge Leute, die den Beruf an den Nagel gehängt haben, weil der Körper nicht mehr mitgemacht hat. Wenn wir weiter im Home Office arbeiten, werden weniger Trader vorzeitig aufhören müssen. Und ich weiß, dass viele meiner Kollegen das ebenso sehen.

Weiter im Home Office zu arbeiten, mag ein frommer Wunsch sein. Bei mir wurde schon subtil ausgelotet, ob ich wieder zurück ins Büro kommen will. Ich persönlich denke, dass dies wenig sinnvoll ist – aufgrund der Abstandsregelungen sitzen wir weit auseinander und können junge Kollegen nicht so unter unsere Fittiche nehmen wie früher. Auch das Argument, dass der Trading Floor besser unter Aufsicht steht als das Home Office, zieht nicht: Wer dunkle Geschäfte machen will, kann auch auf dort einfach das Handy nehmen und nach draußen gehen.

Ich erlebe, dass ich meine Arbeit im Home Office besser machen kann. Darum möchte ich meinen Vorgesetzten fragen, ob ich bis auf weiteres zuhause bleiben kann, zumindest an einigen Tagen pro Woche. Natürlich werden sich mögliche Nachteile erst noch zeigen – es mag leichter sein, Leute zu entlassen, wenn man nicht im selben Raum ist. Oder es kann passieren, dass übereifrige Junioren vor Ort im Büro versuchen, die Kollegen im Home Office auszubooten.

Auch zuhause eine gute Bilanz zu erzielen, dürfte ein guter Schutz sein, auch wenn Erfolg heutzutage sehr viel mehr vom generellen Marktfluss und dem Franchise abhängt als vom einzelnen Trader. Wenn ich allerdings nicht im Home Office bleiben kann, werde ich meinen aktuellen Job generell in Frage stellen: Hedge Fonds etwa scheinen sehr viel weniger darauf aus zu sein, ihre Mitarbeiter zurück ins Büro zu holen. Ich habe während der Pandemie mit vier oder fünf Portfolio-Managern gesprochen und alle berichteten, nicht mehr zurück ins Büro zu gehen. Wenn Banken ihre Leute zwingen, fünf Tage pro Woche auf dem Trading Floor zu sein, werden sie erleben, dass viele Mitarbeiter auf die Käufer-Seite abwandern. Und das wäre schade.

Graeme Daines (Pseudonym) arbeitet als Senior Trader in London

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AUTORGraeme Daines

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