„Keine Häkchenmacher, sondern kommunikationsfreudige Analysten mit Prozessverständnis“
Jürgen Engel, Partner bei der internationalen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Mazars, beschreibt, wie sich die Anforderungen an Wirtschaftsprüferinnen und Wirtschaftsprüfer gewandelt haben und wie der Wirecard-Skandal und Corona die Branche bereits nachhaltig verändert haben und noch weiter verändern könnten.
Der Wirecard-Skandal hat den Berufsstand der Wirtschaftsprüferinnen und -prüfer in Deutschland in ein schlechtes Licht gerückt. Was ist hier schiefgelaufen?
Der Fall Wirecard ist sehr komplex und erfordert eine sehr gründliche Analyse, voreilige Konsequenzen und Vorverurteilungen sind meines Erachtens nicht angezeigt. Ob die Wirtschaftsprüferinnen und -prüfer im Fall Wirecard früher hätten Alarm schlagen müssen, kann ich mangels genauerer Hintergrundinformationen nicht beurteilen. Fest steht jedoch, dass die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften in Deutschland jedes Jahr um die 100.000 Audits durchführen und hier hervorragende Arbeit leisten. Ich erlebe, dass das durchaus anerkannt wird.
Ich denke aber, dass wir über das Corporate Governance System am Finanzplatz Deutschland insgesamt nachdenken sollten. Denn es ist unstrittig, dass die Entwicklungen um Wirecard zumindest einige Fragen bezüglich der Rolle unseres Berufsstands aufwerfen. Auch Regulierungsfragen werden angesichts dieses Skandals lauter. Die Pflichtrotation – also der verpflichtende Wechsel der Wirtschaftsprüfer bzw. der Wirtschaftsprüferin nach einer gewissen Anzahl von Jahren – war ein erster Schritt in die richtige Richtung. Allerdings erfolgte der Prüferwechsel hauptsächlich nach oben in Richtung Big Four, nur selten nach unten oder seitwärts. Ein verpflichtender Joint Audit, also die gleichzeitige Beauftragung von zwei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, würde auf Unabhängigkeit und Transparenz einzahlen und sich positiv auf die Prüfungsqualität auswirken. Reformen sollten aber nicht nur im Bereich der Wirtschaftsprüfung angedacht werden, sondern in Bezug auf die Finanzaufsicht insgesamt.
Die Anforderungen an Wirtschaftsprüferinnen und -prüfer haben sich in den letzten Jahren enorm verändert. Was sind die wichtigsten Umbrüche und Neuerungen?
Früher ging es vor allem darum, Häkchen zu machen – so zumindest das Bild des Wirtschaftsprüfers bzw. der Wirtschaftsprüferin in der Öffentlichkeit. Unser Aufgabenspektrum war aber schon immer wesentlich breiter, jetzt hat sich auch die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit dahingehend angepasst. Das Rechnungslegungsumfeld hat sich in den letzten 20 Jahren enorm verändert, auch und gerade durch die Einführung von IFRS. Außerdem sind die Unternehmenslandschaft und auch die Geschäftsmodelle deutlich komplexer geworden – um gut prüfen zu können, muss man erhebliche Branchenkenntnisse mitbringen und vor allem Prozesse verstehen können. Und schließlich bringt die Digitalisierung eine neue, nicht zu unterschätzende Herausforderung mit sich: Wir sehen uns in unserer Arbeit ganz anders als früher mit großen Datenmengen konfrontiert – Stichwort Big Data.
Die Abwicklungsmengen sind teilweise enorm. Wir als Prüfer fragen dann: Wie stellt der Kunde sicher, dass alle Positionen echt sind? Was für Kontrollmechanismen hat er eingebaut? Könnten diese durch fehlerhaftes Verhalten unbeabsichtigt umgangen werden? Und wie könnten Betrüger sie umgehen? Früher hat man viel mit Stichproben gearbeitet, heute können wir mithilfe von Datenanalysetools den gesamten Datenbestand untersuchen und so Auffälligkeiten aufspüren. Hier nutzen wir natürlich auch unser Branchenwissen und das, was wir anderswo schon erlebt oder gesehen haben. Um es kurz zu machen: Unternehmensberatern geht es im Rahmen der Prozessanalysen um Effizienz – also um schlanke, kostensparende Prozesse; uns Wirtschaftsprüferinnen und -prüfern geht es um Verarbeitungssicherheit, also wie oben bereits dargestellt, darum, dass die eingebauten Kontrollen funktionieren und Missbrauch verhindern.
Was macht die Tätigkeit von Prüfern und Prüferinnen heute aus? Welche Skills sollte man mitbringen?
Wichtig sind vor allem drei Dinge: Man braucht Prozessverständnis, ausgeprägte analytische Fähigkeiten und muss gut kommunizieren können. Wer als Wirtschaftsprüferin oder Wirtschaftsprüfer bei einem Mandanten unterwegs ist, steht dort im Kontakt mit verschiedensten Angestellten. Da kann es vorkommen, dass wir mit einem Lagerarbeiter über Lieferscheine sprechen und eine Stunde später mit dem CFO konferieren. Man muss flexibel und zugewandt sein.
Spezifisches Fachwissen brauchen Einsteiger nicht von vornherein mitzubringen – das können sie sich on the job aneignen. Was es allerdings braucht, ist eine gewisse geistige Flexibilität, analytisches Denkvermögen, Zahlenaffinität und auch die Bereitschaft, mal in einen Gesetzestext reinzuschauen. Denn trotz aller technischen Neuerungen geht es im Kern natürlich nach wie vor um Rechnungslegung. Buchen können ist nicht grundsätzlich verkehrt, steht aber zunächst nicht an oberster Stelle.
Wer in der Wirtschaftsprüfung einsteigt, kann innerhalb von kurzer Zeit eine enorme Bandbreite an Unternehmen und Branchen kennenlernen und erhält Einblick in vielfältige Geschäftsmodelle und Unternehmenskulturen. Das bedeutet allerdings auch, dass man viel unterwegs ist: Unsere jungen Mitarbeiter betreuen rund 15-20 unterschiedliche Mandanten im Jahr und arbeiten dann üblicherweise auch beim Kunden vor Ort. Das Leben als Wirtschaftsprüferin bzw. Wirtschaftsprüfer ist extrem abwechslungsreich, gestaltet sich aber auch anspruchsvoll: Man muss belastbar und resilient sein.
Wird sich die Tätigkeit von Wirtschaftsprüferinnen und -prüfern durch Corona verändern?
Das könnte durchaus sein. Bislang haben wir vor allem vor Ort bei unseren Kunden geprüft – durch den Lockdown war das dann nur noch sehr eingeschränkt möglich. Wir arbeiten jetzt viel mehr als früher aus der Ferne und greifen digital auf die Daten des Kunden zu. Für Mitarbeiter hat das große Vorteile: Weniger Reisetätigkeit und mehr Zeit im eigenen Büro in der Niederlassung oder im Home Office. Die ganze Arbeitswelt wird sich auf ein „new normal“ einstellen müssen.
Wie erleben Sie junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und welche Ratschläge geben sie?
Ich erlebe durchaus, dass junge Kolleginnen und Kollegen – also die Generation Y und Z – andere Werte haben als wir Baby Boomer. Sie sind damit aufgewachsen, dass ihre Eltern die Arbeit über alles gestellt haben und wollen es bewusst anders machen. Sie sind durchaus bereit, Leistung zu bringen, aber sie wollen andere Rewards: Es geht weniger um Geld und mehr um freie Zeit oder auch um „job enrichment“. Eigeninitiative zeigen zu können, ist jungen Kolleginnen und Kollegen besonders wichtig. Wir erleben beispielsweise, dass sie sich in unseren Digitalisierungsprojekten in Kooperation mit StartUps einbringen und hier Tools für unsere Arbeit entwickeln. Solche Projekte selbst mitgestalten und vorantreiben zu können, empfinden viele als sehr bereichernd. Mein Rat an Neueinsteiger: Immer neugierig bleiben und viele Fragen stellen.
Wie sieht Ihr eigener Weg aus – warum haben Sie sich entschieden, in die Wirtschaftsprüfung zu gehen?
Ich habe als Student im Steuerberatungsbüro meines Onkels ausgeholfen und BWL studiert. Dass ich trotz meines schwachen Examens den Einstieg in die Wirtschaftsprüfung geschafft habe, war Glück: Die Mauer war gerade gefallen und ich war bereit, in den neuen Bundesländern zu arbeiten. Zu Beginn meiner Karriere wurde noch mit Rechenmaschinen gearbeitet, kurz danach wurde dann auf Computer umgestellt – ich habe also die gesamte Digitalisierung der Branche selbst miterlebt. Nach vielen Jahren bei einer Big Four bin ich zu Röver Brönner Susat (RBS) gewechselt und dann durch eine Fusion bei Mazars gelandet – auch das war rückblickend wirklich Glück: Ich arbeite hier in einem Unternehmen mit 24.400 Mitarbeitern weltweit, bei dem aber noch immer ein sehr agiler, unkomplizierter Geist weht. Was ich an meinem Beruf generell schätze, sind die ständig neuen Herausforderungen – es wird nie langweilig.