Die Strippenzieherin, die niemand kennt: Eine Goldman-Sachs-Partnerin gibt Tipps
Partner bei Goldman Sachs – der Jobtitel spricht für sich. Wer es schafft, Partner zu werden, ist ganz oben angekommen. Und doch sind einige Partner bei Goldman Sachs einflussreicher als andere – auch wenn sie nicht im Front Office sind.
Wenn es eine Auszeichnung als „Goldman-Sachs-Partner des Jahres 2020“ gäbe (was nicht der Fall ist), dann würde dieser vermutlich an Orla Dunne gehen, die wenig bekannte 'Head of Foundational Infrastructure' des Unternehmens. Dunne, die in London sitzt, ist erst vor Kurzem Partner geworden und war während der Pandemie maßgeblich dafür verantwortlich, Goldman Sachs durch die Krise zu steuern.
Auf dem Women in Technology online festival beschrieb Dunne, worin ihre Tätigkeit besteht. „Ich kümmere mich um die Technologie – sowohl in unseren Datenzentren und unseren Niederlassungen, als auch für Sprachnetzwerke und die Multimedia-Infrastruktur“, so Dunne. Sie verantwortet die Technologie-Infrastruktur, die Goldman Sachs und alle, die dort arbeiten, am Laufen hält.
Für Dunne und ihr Team war es ein Wahnsinns-Jahr. Laut Business Insider war Dunne eine der ersten im Unternehmen, die die Gefahr der Pandemie erkannten. Bereits Ende Februar, als erst langsam klar wurde, was der Virus bedeutet, schrieb Dunne Berichten zufolge eine E-Mail, in der sie anregte, schon jetzt das Equipment vorzubereiten, das nötig wäre, wenn es zu einem Lockdown käme und die Mitarbeiter „sich in Sicherheit“ bringen müssten. Gesagt, getan.
Zugeschaltet war Dunne aus einem schlicht eingerichteten Zimmer irgendwo in Irland, wo sie gebürtig ist. Sie erinnerte sich an die Dramatik dieser Wochen, sprach von „sehr interessanten Herausforderungen“, vor denen sie stand, als 98 Prozent aller Goldman-Sachs-Mitarbeiter plötzlich im Home Office waren. Man habe schon vorher virtuelle Desktops gehabt, so Dunne, doch man habe binnen kürzester Zeit „maßgeschneiderte Lösungen“ entwickeln müssen, „um via Internet- und Audioverbindungen anstatt im Büro zu agieren“. Gleichzeitig herrschte an den Märkten eine „Volatilität ungekannten Ausmaßes“, die „Market Data Update Rates“ hatten neue Spitzenvolumen erreicht, ebenso die Tradingvolumina und -transaktionen. Hinzu kam, dass die Migration eines Datenzentums in Hongkong schneller als geplant umgesetzt werden musste.
Goldman Sachs trotzte dem Chaos. Die Nettoerträge in der Markets Division waren in den ersten neun Monaten um 63 % höher als im Vorjahreszeitraum (die Strafzahlung infolge des 1MDB-Skandals ist hier noch nicht miteinberechnet). Dunne war bei Goldman Sachs 11 Jahre lang Managing Director und wurde letzte Woche zum Partner befördert – wohl nicht zuletzt, weil sie sich in der Corona-Krise durch eine schnelle Auffassungsgabe und große Kompetenz bewährt hatte.
In ihrem Vortrag erklärte Dunne, dass Tech-Spezialisten bei Goldman Sachs „das Geschäft erst möglich machen“. „Sobald wir eine neue Möglichkeit sehen, sind wir auf dem Plan“, sagte sie. Ihre Rolle sei es, Lösungen zu entwerfen und zu implementieren. Tech-Mitarbeiter seien keine „Angestellten zweiter Klasse“.
Dunne wechselte 2000 zu Goldman Sachs, und zwar als Vice President in der Technology Division und war zuvor bei Morgan Stanley und UBS. In ihrem Vortrag warnte sie davor zu glauben, dass sich Karrieren in einer gerade Linie nach oben entwickeln. Sie rät, Veränderungen als Chance zu sehen und sich auf die Dinge konzentrieren, die man beeinflussen kann – und nicht auf das, was außerhalb der eigenen Kontrolle liegt. Sie plädiert dafür, zuzuhören. „Wir haben zwei Ohren und einen Mund – und in genau diesem Verhältnis sollten wir diese nutzen“, so Dunne. „Wie man auf schlechte Nachrichten reagiert, bleibt oft eher in Erinnerung, als wie man mit Erfreulichem umgeht.“
Wer im Tech-Bereich – oder ganz generell im Banking – erfolgreich sein will, sollte laut Dunne nicht zu einem scheinbar unersetzbaren Fachidioten werden, der dann in seinem Silo festklebt. Vielmehr solle man ständig dafür sorgen, dass die eigene Nachfolge angelernt werde. Und man solle nicht zu hart zu sich selbst sein. „Wenn ich an den Anfang meiner Berufslaufbahn denke, dann habe ich den meisten Druck nicht von außen bekommen, sondern mir selbst gemacht“, so Dunne. „Ich dachte, um nur halb so gut zu sein wie andere, müsste ich doppelt so viel arbeiten.“
Dunne hatte auch Tipps für alle, die infolge des Brexits London verlassen und in die EU gehen müssen. Als junge Bankerin sollte sie nach Paris gehen und dort ein neues Daten- und Tele-Netzwerk aufbauen. Als sie am Gare du Nord ankam, bekam sie Panik: „Ich verstand kein Wort, ich kannte in ganz Paris keine Menschenseele und fühlte mich dem Leben am Trading Desk nicht gewachsen.“ Doch es lohnte sich: Gerade an Situationen, in denen man sich unwohl fühlt, könne man wachsen.
Schließlich erklärte Dunne, dass man neben dem Beruf noch etwas anderes brauche, um sich wohlzufühlen: Ein Hobby. „Suchen Sie sich etwas, das Ihnen Spaß macht”, so ihr Rat.
Anschließend schwenkte die Kamera weg und Dunne verschwand in ihr Home Office im 50er-Jahre-Stil in Irland, von wo aus sie nun – dank der Arbeit ihres Teams – tätig ist. Dass Goldman-Sachs-Banker überall auf der Welt im Home Office arbeiten können, haben sie Dunne zu verdanken.