32-jährige Ex-VP bei J.P. Morgan rät: Nicht aus den falschen Gründen kündigen
Lucy Puttergill ist in Mexiko, es ist früh am Morgen und noch dunkel. Und doch: Es ist deutlich wärmer als im Londoner Sommer, Puttergill wirkt entspannt und so sonnengebräunt wie man es erwartet, wenn jemand nicht in Canary Wharf, sondern in Baja California arbeitet. „Ich war gestern Abend in der nächtlichen Biolumineszenz schwimmen und es war toll“, berichtet sie.
Puttergill war früher Vice President (VP) im Bereich Delta-One-Sales bei J.P. Morgan in London und ist dort im Oktober 2020 gegangen, ohne eine neue Stelle zu haben. Puttergills Ausstieg wurde bekannt durch einen von ihr verfassten Post auf Medium, der viral ging. „Das Problem war, dass mich die Arbeit selbst nicht glücklich machte. Je größer und luxuriöser mein Leben als ‚Karrierefrau‘ wurde, desto größer wurde die innere Leere“, sagte sie zu ihrer Motivation, J.P. Morgan zu verlassen. „Ich hatte nie vor, mit 31 Jahren und mitten in einer Pandemie meine Stelle aufzugeben, ohne etwas Neues zu haben.“
Ein knappes Jahr später hat Puttergill einen neuen Job. Sie hat sich in den vergangenen acht Monate als Karriere- und Life-Coach neu erfunden – eine Tätigkeit, die sie auch per Zoom ausüben kann. „Ich glaube, dass sich die Bereitschaft, sich digital zu treffen, enorm verändert hat, aber wenn Kunden mich lieber in Präsenz sehen wollen, werde ich auch das hinbekommen“, fügt sie hinzu.
Puttergill war neun Jahre lang im Banking tätig, und viele der Klienten, die sie als Coach berät, sind aktuelle oder ehemalige Banker und Trader. Auch wenn sich ihr Leben offenbar komplett geändert hat, betont Puttergill, dass es ihr keineswegs darum geht, auch andere davon zu überzeugen, die Finanzwelt zu verlassen: Wichtig sei ihr vielmehr, Menschen dazu zu bringen, „an ihrer Einstellung zu arbeiten“.
„Ich habe Leute, die zu mir kommen und sagen ‚Ich muss meinen Job aufgeben‘“, so Puttergill. Im Zuge des Coachings würden sie dann aber erkennen, dass sie das nicht müssen. Der Grund, warum sie dieser Meinung waren, ist, dass sich nutzlos fühlen und der Meinung sind, ohnehin bald rauszufliegen.
Puttergill sagt, dass es im Banking viele Hochbegabte gäbe, die sich gegenseitig zu übertreffen versuchen. Grund sei die unterschwellige Annahme, nicht gut genug zu sein. „Als Kinder nehmen wir diese Glaubenssätze auf, weil wir super-sensibel sind“, sagt sie. „Und dann fällt irgend etwas vor und wir fangen an zu denken, dass wir nicht sehr klug sind und dass man uns nicht mag. Wenn wir das immer und immer wieder denken, wird es zu einem Glaubenssatz und wir rackern uns ab, um zu beweisen, dass wir eben doch gut genug sind.“
Wer das Bankwesen verlässt, aber weiter an diesen Glaubenssätzen festhält, wird diese weitertragen – das Leben wird sich nicht dramatisch verbessern. Für eine wirkliche Veränderung sei es, so Puttergill, notwendig, sich mit den Glaubenssätzen zu konfrontieren, zu erkennen, dass man durchaus gut genug ist und dann vielleicht in einem Bankingjob zu bleiben, der einem tatsächlich Spaß macht und einen guten Lebensstandard bietet.
Puttergill selbst hat sich diesem Prozess gestellt. Obwohl sie eine Überflieger-Studentin gewesen sei und ihr Studium an der University of Bristol mit Bestnoten abgeschlossen hatte, sagt sie, dass ihr Leben davon überschattet war, dass sie dachte, eine Versagerin und nicht besonders schlau zu sein.Wenig hilfreich war außerdem, dass sie bei der Citi im Middle Office angefangen hatte, nachdem ein Freund im Bankwesen auf der Suche war nach jemanden, der Französisch konnte und dass sie erst später ins Front Office gewechselt ist: „Das hatte einen großen Bedeutung und bestärkte mein Gefühl, nicht so gut wie andere zu sein“, erzählt sie.
Für Puttergill sei die Antwort nicht gewesen, im Banking zu bleiben. „Es war einfach nicht meine Berufung“, sagt sie. „Ich habe mich schon immer für Psychologie und tiefe Verbindungen interessiert. Was mich in der Branche gehalten hat, war der Versuch, der Welt etwas zu beweisen. Ich konnte mir selbst sagen: ‚Seht her, ich bin wirklich smart, denn ich arbeite im Banking‘, aber das war nicht das Leben, das ich mir eigentlich aufbauen wollte.“
Klienten, die sich mit ihren Treibern beschäftigen und dann entscheiden, im Bankwesen zu bleiben, tun dies aus den richtigen Gründen, sagt Puttergill. Sie seien erfüllter und fühlten sich wohler in ihrer eigenen Haut. Wenn man hingegen ein Gefühl der Unzulänglichkeit mit sich herumträgt, werde man aggressiver, berichtet sie: „Aggression ist ein Schutzschild, das verhindert, dass andere deine Schwachstellen sehen. Banken brauchen Menschen, die an ihre eigenen Fähigkeiten glauben, die Demut zeigen und erkennen, wenn sie etwas nicht wissen.“
Was ist mit denen, die die Branche verlassen? Puttergills eigene Erfahrung zeigt, dass es einem auch dann gutgehen kann. Viele Menschen zögern aus finanziellen Gründen, aber Puttergill sagt, dass es einfacher ist als gedacht, mit weniger Geld auszukommen. „Ich habe meine Ausgaben stark eingeschränkt“, sagt sie. „Das meiste Geld, das ich im Banking ausgegeben habe, war, um mich glücklich zu fühlen. Die Überzeugung, dass man mit etwas anderem kein Geld verdienen kann, ist ein Irrglaube, der die Leute in ihren aktuellen Jobs gefangen hält.“
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