Wirecard: Mitarbeiter auf dem Absprung, Gerüchte um Juni-Gehälter
Von den weltweit 5.700 Wirecard-Mitarbeitern sind rund 1.600 in der Unternehmenszentrale in Aschheim bei München beschäftigt – wie es für sie weitergeht, ist nach wie vor vollkommen unklar. Zwar betrifft die Insolvenz nur die Wirecard Holding mit ihren 200 Angestellten, aufgrund der komplexen Verflechtung ist jedoch klar, dass auch andere Unternehmensteile nicht einfach weitermachen können wie bisher. „Es müsste jetzt ganz schnell eine Übernahme kommen“, so Lucas Bechtle, Geschäftsführer des Münchner Personalvermittlers Digital Future GmbH – und selbst dann würden vermutlich nicht alle Jobs erhalten. Wirecard sei ein beliebter Arbeitgeber gewesen, auch bei Führungskräften, berichtet Bechtle. Vor allem aber in den Bereichen IT und Product gebe es im Unternehmen viele interessante Profile.
Dass Wirecard-Mitarbeiter sich bereits nach neuen Jobs umsehen, bestätigt auch Julian von Blücher vom Tech-Headhunter TalentTree. „Übers Wochenende haben wir einige entsprechende Anfragen bekommen.“
Dass sich Wirecard-Beschäftigte auf der ganzen Welt schon nach neuen Jobs umsehen, belegt auch eine Online-Liste, auf der sich schon rund 500 Mitarbeiter eingetragen haben (170 davon aus Deutschland), inklusive Skillset, Wohnort, Umzugsbereitschaft und Kontaktdaten. Es sind Spezialisten aus dem IT- und Product-Bereich, aus Business Development, Support, Marketing, Sales und Compliance.
Die Idee für die „beyondWirecard“-Liste stammt von Claudio Wilhelmer. Der Fintech-Unternehmer kennt Wirecard seit vielen Jahren aus gemeinsamen Projekten. Letzten Mittwoch war er für verschiedene Meetings in der Unternehmenszentrale in Aschheim bei München. Er berichtet von einer Stimmung zwischen Hoffen und Bangen – und von vielen Mitarbeitern, die sich Sorgen um ihre Zukunft machen. „Da gibt es Leute, die erst gerade angefangen haben und für den Job bei Wirecard extra nach München gezogen sind“, so Wilhelmer. Er habe sich abends ins Auto gesetzt und vom Firmenparkplatz aus noch ein letztes Foto vom Unternehmen geposted, verbunden mit dem Angebot, den Mitarbeitern mit seinen Kontakten weiterzuhelfen. In der Branche schlug das ein wie eine Bombe: Wilhelmers Mail-Postfach quoll förmlich über. „Mir war schnell klar, dass ich das Ganze irgendwie automatisieren muss.“ Kurz später schaltete er eine simple Tabelle online.
Wilhelmers Initiative wäre in anderen Branchen absolut undenkbar – allein die Tatsache, dass die Kontakte von 500 Mitarbeitern vollkommen unverschlüsselt online abrufbar sind, würde bei Datenschützern Alarm auslösen. Zwar haben auch schon andere Unternehmen mit ähnlichen Listen hantiert – dies geschah allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit und war von den Unternehmen selbst initiiert worden. Und dennoch spiegelt die Aktion wieder, was die Tech-Welt ausmacht: Man versteht sich als Community, agiert pragmatisch, unprätentiös und vor allem mit immens hoher Schlagzahl. Wilhelmer selbst verfolgt mit seiner Initiative keinerlei kommerziellen Zwecke. „Ich habe am Mittwoch in der Wirecard-Kantine mit so vielen Leuten gesprochen, die Angst um ihre Zukunft haben. Da wollte ich einfach was machen.“
Die Liste wird auch bei Headhuntern aufmerksam registriert. „Einige Namen auf der Liste kennen wir“, so Julian von Blücher. Auch Lucas Bechtle ist auf der Suche nach Kandidaten schon punktuell auf den einen oder die andere auf der Liste zugegangen.
Die Mitarbeiter selbst zittern aktuell, ob sie im Juni noch Gehalt bekommen. Da der Wirecard-Konzern nicht mehr auf die Konten bei der Wirecard zugreifen darf, könnte es an Liquidität fehlen. Bei Wirecard selbst war man für eine Stellungnahme zu dieser Frage nicht zu erreichen. Offenbar hatte man dort anderes zu tun: Nachdem letzte Woche noch 110 Stellen ausgeschrieben waren, wurde die Website übers Wochenende aktualisiert. Die Auskunft lautet nun: Leider haben wir aktuell keine offenen Stellen.
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